LAMPERTHEIM – Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und CDU-Kreisvorsitzende Dr. Michael Meister ist der mächtigste Politiker im Kreis Bergstraße. Wir sprachen mit dem Bensheimer, den mal auch mal als Finanzfachmann im Fernsehen bewundern kann, über Griechenland, Verkehrsinfrastruktur, TTIP und Flüchtlinge.
Herr Dr. Meister, wann kommt die Südumgehung Rosengarten, für die Sie sich seit Jahren einsetzen?
Der Planfeststellungsbeschluss liegt zur Unterschrift bereit und wird dann öffentlich ausgelegt. Damit wird es in Kürze Baurecht geben, sofern es keine Klagen dagegen gibt. Dann werden wir in Berlin dafür sorgen, dass die B 47 von der Rheinbrücke bis Lorsch in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans kommt, um den Ausbau der Strecke zu finanzieren.
Die Landwirte sind gegen die Südumgehung, weil zu viel Ackerfläche verloren geht…
Möglicherweise verzichten die Landwirte auf eine Klage, wenn man ihnen bei zwei Dingen entgegenkommt: Es sind eine vernünftige Zuwegung der landwirtschaftlichen Grundstücke und ordentliche Flurstücke notwendig. Hierfür ist eine Flurbereinigung erforderlich. Und der naturschutzrechtliche Ausgleich darf nicht auch noch auf sinnvoll zu nutzenden Ackerflächen stattfinden, sondern auf Arealen, die landwirtschaftlich nicht nutzbar sind.
Kann sich Ihr Chef, Finanzminister Wolfgang Schäuble, noch in Griechenland sehen lassen?
Ja. Er hat immer auf einer sachlichen Ebene mit Griechenland verhandelt. Griechenland war bis letzten November auf einem guten Weg, die Wirtschaft begann sich zu erholen. Aber dann kam das politische Durcheinander dort, und es wurde zerstört, was in den letzten fünf Jahren aufgebaut wurde. Es ist leider inzwischen ein erheblicher Vertrauensschaden entstanden.
Es gibt Stimmen, die befürchten, dass es mit dem dritten Hilfsprogramm für Griechenland nicht getan sein wird, sondern eine dauerhafte, vielleicht sogar jahrzehntelange Abhängigkeit entstehen kann. In Bezug auf die harten Sparvorgaben könnte man ja sagen: Eigentlich sollten es die Deutschen nach den Erfahrungen der Regierung Brüning (zwischen 1930 und 1932; die Red.) besser wissen.
Ich fange mal mit Brüning an: Wir haben nie von sparen allein, sondern von wachstumsfreundlichem Sparen gesprochen. Die Frage ist, ob Griechenland eine Staatsverwaltung braucht, die im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Mitarbeiter hat als wir. Wachstumsfreundlich wäre eine Verwaltung, die ein Grundbuch einführt. Eine, die die erhobenen Steuern auch wirklich eintreibt. Es ist nicht die Frage, wie viele Köpfe in der Verwaltung herumlaufen, sondern welche Aufgaben sie haben. Im Europäischen Fonds für strategische Investitionen ist Geld für nachhaltige Zukunftsinvestitionen vorgesehen. Griechenland besteht im Wesentlichen aus zwei Sektoren: Landwirtschaft und Tourismus. Das reicht nicht, wir brauchen weitere Sektoren, Stichwort Energie. Logistik ist auch ein Punkt: Warum fahren Schiffe aus Asien nach Hamburg und Rotterdam, wenn jetzt der Suezkanal frei ist? Die Fracht könnte genauso gut gleich in Piräus abgeladen werden. Entscheidend bei allem ist aber das Vertrauen: Versuchen Sie mal einen Investor zu finden, bei einer Regierung, die derart unberechenbar ist, die Ihnen nicht sagen kann, ob das Grundstück, auf dem jemand bauen möchte, ihm gehört. Das sind essenzielle Voraussetzungen. Und zur Zeitfrage: Der entscheidende Punkt ist, dass die Hilfe nur befristet geleistet wird. Das Hilfsprogramm selbst ist auf drei Jahre ausgelegt. Es ist wie beim Arzt: Wenn man eine Therapie macht, die zwar nicht in der Regelzeit liegt, aber in die richtige Richtung geht, kann man sie verlängern. Wenn man sich aber nicht an die Therapie hält…
Es war eine der Gesten des Jahres: Yanis Varoufakis zeigt in einem Video den Stinkefinger gegenüber Deutschland. Das Video ist von 2013, und der Ex-Finanzminister erklärt die Situation 2010: Griechenland hätte nie Geld aus einem Hilfspaket bekommen dürfen. Hatte er damit nicht eigentlich recht?
Er hatte nicht recht. Wie gesagt, hatte Griechenland bis 2014 eine positive Entwicklung genommen. Nicht das Hilfspaket war das Problem, sondern Herr Varoufakis selbst. Ich werde ihm auch nicht den Gefallen tun, von der Sachebene abzukommen. Und was wäre überhaupt seine Lösung? Wie wollte sich Varoufakis ohne Hilfsprogramm finanzieren? Er hat darauf gesetzt, dass die anderen Staaten nachgeben: Eine Finanzierung wollte er schon, aber ohne, dass sich etwas ändert. Das halte ich für ein starkes Stück. Ich weiß nicht, ob das solidarisch ist, wenn ein estnischer Rentner – der im Übrigen weniger bekommt als sein griechischer Altersgenosse – selbst sparen und dann noch Steuern für den anderen bezahlen soll. Varoufakis‘ Modell war: Wir leben unser Leben weiter, wie wir es wollen, und andere Steuerzahler der Euro-Zone halten uns aus. Da habe ich ein demokratietheoretisches Problem.
Sie scheinen über seinen Rücktritt erleichtert zu sein.
Das war für mich Fahnenflucht – und das nach dem Referendum. Da hätte er sagen können: „Jetzt mache ich meine Politik.“ Hat er aber nicht.
Es gab ja während und nach den Verhandlungen mit der griechischen Regierung vereinzelt die Kritik, Deutschland versuche, in Europa alles zu bestimmen. Was sagen Sie dazu?
15 von 19 Staaten waren der gleichen Meinung, nur Griechenland, Zypern, Frankreich und Italien nicht. Also waren es keine Verhandlungen Deutschland gegen den Rest. Wir hatten eine klare Meinung, suchten aber auch nach einem Kompromiss. Grundsätzlich wäre es sinnvoll, wenn es eine gemeinsame demokratische Instanz gäbe, die die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Euro-Zone festlegt. Diese könnte dann mit den Mitgliedsstaaten verhandeln, müsste aber auch Sanktionen aussprechen können. Und ein Parlament müsste dieser Instanz aber auch auf die Finger schauen können. Dazu sind aber Vertragsänderungen auf europäischer Ebene nötig.
Die EU-Kommission will den Meisterbrief abschaffen. Ist das sinnvoll?
Nein, der Meisterbrief ist kein Auslaufmodell, sondern vielmehr ein Zukunftsprojekt, das wir in Europa bewerben sollten. Es ist ja mit eine Stärke der deutschen Wirtschaft, dass es hier gut ausgebildetes und eben nicht nur angelerntes Personal gibt. Angesichts der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa beginnt man, sich dort für unser duales Ausbildungssystem zu interessieren. Ich bin für einen europäischen Gesellen- und Meisterbrief.
Der Mittelstand kritisiert ja auch häufig die bürokratische Belastung der Betriebe und auch die Lücken in der Infrastruktur. Müsste die Bundesregierung mehr tun?
Bei der Verkehrsinfrastruktur gab es in den letzten Jahren Nachholbedarf. Von den sechs Milliarden, die jährlich für die Verkehrsinfrastruktur fehlen, betrifft die Hälfte den Bund, die andere die Kommunen. Der Bund hat in diesem Jahr seinen Verkehrsetat um 2,5 Milliarden erhöht und damit fast sein Soll erfüllt. Auch die digitale Infrastruktur wird weiter ausgebaut, im Osten des Kreises Bergstraße ist sie schon sehr gut. Was die Bürokratie betrifft, so verweise ich auf den Normenkontrollrat, der jeden Gesetzentwurf auf den bürokratischen Aufwand hin anschaut, aufmerksam. Vor wenigen Wochen haben wir die Regelung beschlossen, dass jedes Ministerium, wenn es neue Bürokratie aufbaut in gleichem Umfang an anderer Stelle abbauen muss.
Wie viele Flüchtlinge kann Deutschland aufnehmen? In Lampertheim müssen schon Häuser gebaut werden, um die Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen. Und wie kann man die Menschen nach der Anerkennung integrieren und in Arbeit bringen?
Wir müssen zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen, Asylbewerbern aus den Balkanstaaten und der gewünschten Einwanderung von Fachkräften unterscheiden. Den Bürgerkriegsflüchtlingen (Syrer oder Iraker) müssen wir helfen, ohne über die Zahl zu diskutieren. Bei Asylbewerbern aus den Balkanstaaten gibt es eine Anerkennungsquote unter einem Prozent. Diese Verfahren müssen beschleunigt, weitere Balkanstaaten als sichere Drittstaaten festgelegt werden. Diese sollten auch in zentralen Aufnahmeeinrichtungen bleiben. In dem Zusammenhang muss ich den Kreis Bergstraße loben. In Abstimmung mit den Bürgermeistern werden alle Flüchtlinge untergebracht. Bei der Integration muss man je nach Alter unterscheiden. Für Flüchtlingskinder brauchen wir spezielle Schulklassen, für Heranwachsende eigene Qualifikationsangebote.
Momentan kursieren die „abenteuerlichsten“ Dinge: Kommunalpolitiker werden unter Druck gesetzt, wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen, in Sozialen Netzwerken sinkt die Hemmschwelle, um verabscheuungswürdige Kommentare abzugeben. In ostdeutschen Kommunen haben sich schon Bürgerwehren formiert. Sind sie manchmal erschrocken, was momentan dort ausbricht?
Es gibt bei jeder Debatte Menschen, die sachlich und weniger sachlich diskutieren. Es gab Zeiten in unserem Land, wo Menschen in Deutschland politisch verfolgt waren und sich durch Flucht schützten: 1933 bis 1945 und 1949 bis 1989. Das ist nicht so lange her, dass man sich daran nicht mehr erinnern könnte. Ich sage nicht, dass es noch mal so weit kommen könnte. Aber wenn man selbst so etwas erlebt hat, könnte man sich dessen erinnern und anderen, denen es so ergeht, helfen. Hier kann Politik nur werben. Zum Anderen scheint es das Motto zu geben: „Wir machen an den Grenzen die Rollläden zu.“ Meine Antwort ist: Unser Wohlstand basiert auf offenen Grenzen. Ich selbst habe bei uns, wo Menschen aus Fluchtgründen untergebracht sind, noch keine echten Abwehrreaktionen erlebt.
Und was sagen Sie zu denjenigen, die geplante Unterkünfte anzünden?
Das ist keine politische Auseinandersetzung, sondern eine Straftat. Hier müssen klare Grenzen sein: Wer meint, Angst zu haben, kann ja versuchen, mit den politisch Verantwortlichen in der Gemeinde einen Dialog zu führen. Wer Gewalt als Mittel einsetzt – nun, für den gibt es das Strafgesetzbuch.
Ein weiteres Thema, das die Deutschen bewegt, ist das Freihandelsabkommen TTIP. Unabhängig der Debatte um mangelnde Transparenz gibt es zwei Strömungen: Das produzierende Gewerbe und exportorientierte, mittelständische Unternehmen begrüßen die Pläne, denn sie müssen keine parallele Produktlinie für den US-Markt entwickeln, Beispiel Autoblinker. Dagegen warnen Landwirte, Dienstleister und neuerdings auch BDI-Chef Ulrich Grillo vor sinkenden Sozial- und Umweltstandards. Beim nordamerikanische Pendant NAFTA ist viele Verbraucherschützer zu einem negativen Resümee. Was muss passieren, damit TTIP erfolgreich ist?
Wenn man Standards braucht, lautet für mich die Frage: Wie will man diese durchsetzen? Da sind wir als Deutschland zu klein – als Markt, wie auch als Machtfaktor. Die Europäische Union dagegen ist auf die Verbraucher bezogen ein größerer Markt als die USA. Wenn die Nummer eins und Nummer zwei zusammenkommen, hat man auch die Möglichkeit, Umwelt- und Sozialstandards geltend zu machen. Niemand kann den Leitmarkt ignorieren. Nun verhandeln nicht nur wir mit den USA, die Amerikaner verhandeln auch mit anderen Ländern aus Asien. Sollte das Abkommen mit der USA nicht zustandekommen, wird der Leitmarkt ohne uns stattfinden. Unsere Standards interessieren dann weltweit keinen. Also: Jeder der Standards will, muss für TTIP kämpfen. Man muss das Abkommen aber so ausverhandeln, dass es auf Dinge, die ein Gesetzgeber ordentlich beschlossen hat, Rücksicht nimmt.
Damit meinen Sie die geplanten Schiedsgerichte…
Nein, wenn ein Gesetz – auf welcher Ebene auch immer – beschlossen hat, dann ist es durch ein Schiedsgericht nicht anzugreifen. Gesetze gelten für alle – alle Autobauer oder Landwirte. Wenn nun aber ein Kommunalpolitiker eine Absprache mit einem Unternehmen hätte, das hieraus einen Vorteil zöge, dann muss man die Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen.
Das Interview führten Oliver Lohmann und André Heuwinkel.
Mit freundlicher Genehmigung der Lampertheimer Zeitung
Quelle: Lampertheimer Zeitung vom 05.08.15